Was Epidemien vor den Durchbrüchen der modernen Medizin alles anrichten konnten, ist ja gemeinhin bekannt. „King Cholera“ wurde nicht umsonst als teuflischer Sensenmann dargestellt, der vor niemandem halt machte. Auch der Schwarze Tod ist jedem ein Begriff. Es ist wieder Grippezeit, und wir haben uns vor einer Weile gegen Grippe (Influenza) impfen lassen, eine der gefährlichen Krankheiten, die unsere fragilen Gesellschaften bedrohen. Eine mittlerweile fast vergessene Krankheit sind die Pocken.
Kaum jemand weiß heute noch, was es mit der Geschichte der Pocken auf sich hat. Einige verbinden damit eine Impfung in ihrer Kindheit. Denn: die scheußlichen Pocken gelten als ausgerottet (Vorsicht: nichts für zimperliche Gemüter! Wer ein Bild sehen möchte, der klicke hier.) Dank eines konsequenten Impfprogramms konnten die Pocken erst zurückgedrängt und dann ausgerottet werden.
Aufgrund eines Themenwunsches von Frosty geht es heute um die Geschichte dieser schreckliche Krankheit, die unseren Vorfahren noch den Atem stocken ließ. (Wer es nicht wusste: Ja, man kann sich Themen wünschen – keine Garantie auf Umsetzung allerdings.)
Die Pocken mutieren
Die Pocken hatten schon jahrhundertelang Europa heimgesucht, aber im 16. Jh. entwickelten sie sich weiter und nahmen drastisch an Gefährlichkeit zu. Mit der Kolonialisierung Amerikas erreichten die Pocken auch die einheimische Bevölkerung der heutigen USA und waren mitverantwortlich für die fast vollständige Auslöschung der indianischen Hochkulturen, die dem tödlichen Virus nichts entgegenzusetzen hatten.
Nach und nach hatten die Menschen in Europa festgestellt, dass die Erkrankung einen weniger schlimmen Verlauf nahm, wenn sie im Alter von 5 bis 14 Jahren durchlebt wurde. Einige Eltern versuchten darum, ihren Nachwuchs im Kindesalter mit der Krankheit in Kontakt zu bringen. Das war gefährlich, genau so wie auch heutige „Masernparties“, die schwere Folgen wie Hirnhautentzündungen haben können. Aber die Furcht vor der Krankheit war für die Eltern groß genug, um diese dazu zu bringen, ihre Kinder anzustecken.
Epidemien suchen die Kolonien heim
In den isolierten kleinen Siedlungen der Kolonien half nichts. Die Isolation verhinderte, dass Immunitäten aufgebaut wurden. Kaum jemand brachte ausreichend Widerstandskraft mit sich. Kamen die Pocken ins Dorf, dann machten sie vor niemandem halt, egal ob jung oder alt, und rotteten bisweilen das gesamte Dorf aus.
Auch in den Städten kam es regelmäßig zu Ausbrüchen der Krankheit. In Boston starben immer wieder bis zu 20 % der Bevölkerung während der Pockenwellen. Die Leute flohen vor der Krankheit aufs Land und brachten sie so auch in die Dörfer und die abgelegenen Landstriche.
Eine erste Waffe gegen die Krankheit: Inokulation
Cotton Mather, ein Prediger aus Boston, brachte allerdings eine neue These ins Spiel. Er hatte mit der Idee gebrochen, dass „Miasma“, also „schlechte Gerüche“, für Krankheiten verantwortlich waren. Als einer der wenigen Mediziner seiner Zeit hatte er Körperflüssigkeiten unter einem Mikroskop betrachtet und dabei Bewegung festgestellt, etwas, was er als lebendige Materie einordnete. Er war überzeugt, dass „kleine Tierchen“ in den eitrigen Absonderungen der Pockenopfer lebten. Der Gedanke, dass „kleine Tierchen“ im Blut Krankheiten auslösen konnten, blieb allerdings obskur, bis im 19. Jh. die Keimtheorie die Medizin auf den Kopf stellte.
Sein Sklave Onesimus erzählte ihm dann allerdings von einem Verfahren, das in seiner afrikanischen Heimat angewandt wurde: Inokulation. Etwas Eiter aus den Hautblasen eines Erkrankten wurde durch einen Schnitt in den Blutkreislauf gebracht. Der so infizierte durchlief eine mildere Form der Krankheit, die er üblicherweise überlebte. Jahre zuvor hatte die Royal Society in London ebenfalls davon berichtet, wie in der Türkei dieses Verfahren angewandt wurde, und aus China kamen ebenfalls Berichte, dass diese Technik dort benutzt wurde, um die Krankheit zu verhindern.
„Unmoralisch und gottlos!“
Das medizinische Establishment wehrte sich heftig. Die Mediziner in Boston lehnten es als unmoralisch ab, jemanden bewusst Krankheiten auszusetzen – auch wenn das ja, wie oben erwähnt, auch vorher schon gemacht wurde. Zudem passte die neue Idee in keine der althergebrachten Theorien, wie Krankheiten entstanden (eben z. B. die Miasma-Theorie). Vielen etablierten Medizinern schmeckte zudem auch nicht, dass das Verfahren aus „gottlosen“ Ländern stammte und von Ungläubigen praktiziert wurde.
Ein einzelner Arzt, Zabdiel Boylston, begann jedoch, Leute mit der Inokulationsmethode zu schützen. Zwar gab es einen großen Aufschrei, aber am Ende der Epidemie von 1721 hatte er 247 Personen behandelt, von denen nur sechs verstorben waren, und zwar vermutlich nicht an den Pocken.
Ein Problem der Behandlungsmethode war, dass die Patienten ansteckend waren, solange ihre „milde Form“ der Krankheit nicht vollständig ausgeheilt war. Einige waren dumm genug, sich dabei in die Öffentlichkeit zu begeben, sobald sie sich fit genug fühlten – und steckten so möglicherweise andere an. Dennoch war die Methode grundsätzlich ein Erfolg.
Wie die Impfung den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gewann
50 Jahre später hatte sich die Inokulation immer noch nicht weitreichend durchgesetzt. Die Armee der „Rebellen“ unter George Washington quälte sich immer wieder mit großen Pockenepidemien. Viele Soldaten hatten nur kurze Dienstzeiten von wenigen Monaten bis hin zu einem Jahr. Unmengen Leute ohne Immunitäten reisten also kreuz und quer durch das ganze Land.
Immer wieder versuchten sich Soldaten auch selbst zu immunisieren, indem sie auf eigene Faust Inokulationen vornahmen. Da sie sich dabei nicht in Quarantäne begaben und keinerlei Aufsicht unterlagen, trugen sie die Krankheit weiter, statt die Epidemien einzuschränken.
Erst als Washington beschloss, dass es so nicht weitergehen konnte, hörte das auf. In zwei Immunisierungswellen wurden unter Aufsicht der Armee alle Soldaten der Kontinentalarmee vor den Pocken geschützt. Das sorgte dafür, dass die Armee danach keinerlei Probleme mit den Pocken mehr hatte.
Die Impfung bringt endlich den Durchbruch
Noch jahrelang tobten die Pocken quer durch die Kolonien. Erst mit der Jahrhundertwende hielt eine neue Methode Einzug: die Impfung. Statt Personen direkt mit den Pocken anzustecken, konnte man nun Impfungen vornehmen.
Es hatte sich herausgestellt, dass die mit den Pocken verwandten Kuhpocken ebenfalls Schutz vor der tödlichen Schwesterkrankheit boten. Nach diversen Versuchen wurde wenige Jahr später von der Regierung ein Impfinstitut eingerichtet, das die Impfung mit Kuhpocken verteilen und organisieren sollte.
Leider scheiterte dieser Versuch öffentlicher Gesundheitsvorsorge kläglich, denn es stellte sich heraus, dass die Impfung wiederholt werden musste, und die Ärzte, die ihr Einkommen durch staatlich organisierte Medizin bedroht sahen, taten ihr Bestes, um den Ruf der Impfung zu ruinieren.
Dabei erhielten sie Unterstützung von Anhängern von Ideen wie der „Wassertherapie“, die sich über jede Form der modernen Medizin lustig machten. Sie waren quasi die „Impfgegner“ ihrer Zeit. Allerdings galt auch schon damals, dass Schwitzen und Diäten medizinische Fortschritte nicht ersetzen konnten.
Irgendwann setzte sich das Impfen dann aber zunehmend durch. Falls dich so etwas interessiert, findest du hier einen alten Zeitungsartikel von 1865, der die Impfung diskutiert.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen: Breslaw, Elaine G. Lotions, Potions, Pills and Magic. Health Care in Early America. New York, 2014.
Bild: The Wellcome Archive