Fast gleichzeitig mit den Lollarden in England entwickelte sich im Königreich Böhmen eine eigene reformatorische Bewegung: das Hussitentum. Es war in wesentlichen Teilen von Wyclifs Schriften inspiriert, hatte aber seine ganz eigene Dynamik – und war sehr viel erfolgreicher.
Was es mit den Lollarden gemein hatte, war eine Ablehnung der Dominanz des Papstes in der Auslegung von Richtig und Falsch. Zudem war das Hussitentum ungewöhnlich tolerant. Es brauchte vier Kreuzzüge, um die Hussiten zu bezwingen. Unter anderem aufgrund ihrer innovativen Kampftechniken. In der Folge der hussitischen Revolution zerbrach in Böhmen die Dominanz des Kirchenrechts und der päpstlichen Lehre.
Böhmen
Das Königreich Böhmen hatte in den Jahrzehnten zuvor eine kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit erlebt. Bis 1400 war der böhmische König sogar Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewesen. Karl IV. hatte zahlreiche Reliquien und andere Reichtümer nach Prag gebracht, sodass die Kirchen vor Prunk und Reichtum nur so überliefen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass das direkt erste Widerstände auslöste. Prediger wie Konrad Waldhauser und sein Schüler Jan Milí? hatten in dieser Zeit bleibende Wirkung, gerade bei den Prager Studenten.
König Karl IV. besetzte die Bischofsämter bevorzugt mit Freunden und treuen Untergebenen. Dies ermöglichte ihm zwar eine gute Kontrolle der Kirche, doch erkaufte er sich das auch mit Geld und Zugeständnissen an die beiden Päpste (ja, zwei Päpste!). Das bedeutete, dass der Adel zurückstecken musste. Böhmen hatte eine schnelle Entwicklung durchgemacht, sodass die „Eigenkirchen“, also Kirchen im Besitz eines Adligen, noch lange existierten. Nun verlor der Adel rapide seinen Einfluss auf seine eigenen Kirchen, indem die Päpste massiv auf die Kirchenpolitik Böhmens einwirkten.
Zeitgleich entdeckten die einheimischen Tschechen ihr Selbstbewusstsein. Die frühe Entwicklung Böhmens war stark von deutschen Einwanderern geprägt gewesen, von denen man deutsche Hofkultur und teilweise die deutsche Sprache übernommen hatte. Mit dem ausgehenden 14. Jh. änderte sich die Haltung zur eigenen Kultur. Das zeigte sich vor allem in der Sprache. Immer mehr Texte wurden ins Tschechische übersetzt.
Die Geburt der Hussiten in Prag
Die Prager Universität war eine der tragenden Säulen des Hussitentums. 1348 gegründet, war sie noch nicht sehr alt, als sie sich vom Rest des Römisch-Deutschen Reiches emanzipierte. Dort lehrten und lernten die Theologen, welche das Hussitentum tragen würden. Denn die Bewegung ist zwar nach Jan Hus benannt, aber die intellektuellen Fundamente legten andere.
An der Universität kam es zu denselben Rückbesinnungen auf die eigene Heimat wie im Rest Böhmens. Viele der Gelehrten, welche dort einen Lehrstuhl innehatten, waren Deutsche. Die tschechische Minderheit fühlte sich zurückgestellt und fand in den Schriften von John Wyclif Inspiration. Dieser vertrat nämlich eine radikale Gegenposition zu den sehr orthodoxen deutschen Gelehrten, die alle um ihre Pfründen in der Heimat fürchteten, wohin sie irgendwann zurückkehren wollten. Einige der tschechischen Gelehrten reisten sogar nach England und nahmen direkten Kontakt mit den Lollarden auf. Auf dem Rückweg brachten sie die restlichen Schriften Wyclifs und ein Stück seines Grabsteins mit sich.
Als König Wenzel versuchte, die Kaiserkrone zurückzuerlangen, die er 1400 endgültig verloren hatte, benötigte er Unterstützung und fand diese bei den Prager Gelehrten. Die einheimischen Magister wurden zu einer wichtigen politischen Fraktion innerhalb des Königreichs. Sie boten Wenzel die Argumente, die er brauchte, um die Kirche zu entmachten. Reformen, die unter seinem Vater Karl IV. und dem Papst nicht möglich gewesen waren. Doch jetzt stand die Krone nicht mehr im Weg – und damit wurde der päpstliche Machtapparat, der schließlich bereits gespalten war, endlich angreifbar.
Die Hussitenbewegung nimmt Fahrt auf
Ebenso wie in England gab es in Prag viel zu viele Kleriker. Über 3% der Prager waren Geistliche. Viele von ihnen eher unwürdige Vertreter des Glaubens, die angezogen worden waren durch die reichen Spenden in den Jahrzehnten davor. In diesem Klima aus Prunk und gespaltener Kirche, die auch den einfachen Leuten vor Augen führte, dass eine grundlegende Reform notwendig war, konnte die Reformbestrebung gedeihen.
Die universitären Bestrebungen zur Reform fielen zusammen mit den Predigten von Jan Hus. Er war das Gesicht der Bewegung und besprach sich auch regelmäßig mit den Magistern der Universität. Er hatte in Prag studiert und war ein ausgesprochen fleißiger Prediger. In ihm kamen die neuen Ideen der Gelehrten und die Praxis zusammen. Hus war nicht nur Verfasser von theologischen Schriften, sondern auch Prediger und Agitator.
Jan Hus hielt Tausende von Predigten in der immer gut gefüllten Prager Bethlehemskapelle – und zwar auf Tschechisch, nicht auf Deutsch oder gar Latein. An den Wänden hingen Bilder des Papstes mit Prunk und Protz. Direkt daneben als Kontrast Bilder von Jesus mit der Dornenkrone. Diese Kritik am Reichtum der Kirche spiegelte sich ebenfalls in seinen Reden wider. Hus überzeugte seine Anhänger auch dadurch, dass sein frommes und schlichtes Leben seinen Worten entsprach, ganz ähnlich wie bei John Wyclif in England. Seine Kapelle war schlicht – ganz im Gegensatz zu den prunkvollen Kirchen der Orthodoxen. Außerdem strebte er nie nach einem höheren Amt, was ihm eine große Glaubwürdigkeit verlieh.
Volkssprache und eine einheimische Machtbasis
Jan Hus hatte sich bewusst entschieden, nur in Tschechisch zu predigen. Das Land, in dem er lebte, war zweisprachig: Deutsch und Tschechisch koexistierten. Frühere Reformer hatten sich immer beider Sprachen bedient, unter anderem, weil die intellektuelle Elite deutschstämmig war. Er erweiterte seine Reichweite allerdings, indem er sich an die Handwerker und die tschechische Mittelschicht wandte.
Er polarisierte nicht nur durch seinen Sprachgebrauch, der einen Teil der Bevölkerung schlicht ausschloss, sondern auch dadurch, dass er öffentlich betonte, dass die Tschechen in ihrem eigenen Land führende Rollen in den Würden und Ämtern des Landes einnehmen sollten. Dadurch, dass er die deutschsprachige Mittel- und Oberschicht nicht erreichte, stärkte er allerdings auch die Opposition.
Der Glaubenskonflikt hatte darum gleich mehrere Ebenen: weltliche Macht (König Wenzel) gegen kirchliche Macht (der Papst in Rom), Reformer gegen Orthodoxe und Tschechen gegen Deutsche.
Das Establishment schlägt zurück
Die Polarisierung zwischen den tschechischen Reformern und der deutschen Opposition nahm weiter Fahrt auf, als die deutschen Gelehrten die Anhänger der Wyclif-Lehren an der Universität angriffen. Die Schriften von Wyclif und anderen häretischen Theologen sollten verboten und zensiert werden. 1408 schalteten sie dann den Papst in Rom ein – den Gegenspieler des Papstes in Avignon, den König Wenzel unterstützte.
Die Tschechen reagierten defensiv und rückten zusammen. Der Angriff auf die Schriften Wyclifs war nicht der Kern ihres Ärgers, denn die Bedeutung von Wyclifs Gedanken schwankte innerhalb der böhmischen Reformbewegung stark. Viele der Tschechen fühlten sich vor allem in ihrem Recht bedroht, selbst lesen und lehren zu können. Der Angriff auf die Schriften wurde als Angriff auf ihre Bewegung wahrgenommen, was sie in einer Verteidigungshaltung vereinte.
Dass die Reformer bis 1408 relativ ungestört blieben, verdankten sie dem Erzbischof Zbynek, einem adligen Soldaten, der wenig Ahnung von Theologie hatte. Dadurch, dass erst Jahrzehnte nach dem Aufkommen der Schriften von John Wyclif Maßnahmen ergriffen wurden, hatten Prager Studenten die Lehren und Religionsdebatten längst auf breiter Front unters Volk gebracht. Sie nutzten dazu kurze Schlagworte und scharfe Parolen – die ganzen komplizierten theologischen Debatten spielten hier keine Rolle.
Der Erzbischof war jedoch nicht fähig, die Theologen an der Universität zum Schweigen zu bringen, und blieb inkonsequent. Ansonsten hätten die Hussiten vermutlich niemals den Schwung erhalten, den sie bald darauf entwickelten. Anders als in England war zudem König Wenzel interessiert an der Thematik und wollte sich die Bewegung zunutze machen; das war wichtige Unterstützung von oben.
Noch mehr Schisma: ein dritter Papst
Einige Kardinäle planten, die Spaltung der Kirche zu beenden, und schlugen 1409 einen Kompromisspapst vor, der die Kirche wieder vereinen sollte. Alexander V. war dazu allerdings nicht in der Lage, und so gab es bald darauf nicht nur zwei Päpste, sondern gleich deren drei.
König Wenzel wollte das nutzen, um sich gegen Ruprecht von der Pfalz durchzusetzen, der ihm die Kaiserkrone 1400 abgejagt hatte. Nur machte sein Erzbischof Zbynek nicht mit, denn seine Ehre verbot es ihm, sein Treuegelübde gegenüber dem Papst in Rom zu brechen. Damit waren die tschechischen Gelehrten plötzlich eine wichtige Stütze von Wenzels Macht geworden.
Das Dekret von Kuttenberg
Die Prager Universität auf seine Seite zu ziehen, scheiterte erst einmal an den deutschen Gelehrten, die nach wie vor fürchteten, ihre Pfründen und Renten in der Heimat zu verlieren. Sie behielten ihre alten Loyalitäten bei. Die Universität hatte Stimmrecht nach Nationen. Deutsche, Sachsen und Polen hatten bisher dieselbe Stimmgewichtung wie die Böhmen.
Das änderte Wenzel mit dem Dekret von Kuttenberg. Fortan hatten die Böhmen drei Stimmen statt einer, und alle anderen wurden zusammengelegt zu einer einzigen Stimme. Die Tschechen wiederum dominierten den böhmischen Anteil: Et voilà, die Stimmgewichtung, welche der König wollte – universitäre Selbstverwaltung in Reinnatur.
Die böhmische Nation
Diese Besserstellung und Aufwertung der Rechte Einheimischer wurde von einigen politisch aktiven Mitgliedern der Reformbewegung nach und nach untrennbar mit der Idee der Reformation verschmolzen. Die Reformer wurden zusehends eine kirchliche und politische Partei innerhalb Böhmens, die sich mit einflussreichen Personengruppen in der Hauptstadt verbündeten. Den König gewannen sie für sich, indem sie Rechtstheorien und theologische Leitsätze formulierten, welche die Hoheitsrechte des böhmischen Königs bestärkten.
Durch diese Agitation und das Verschmelzen der verschiedenen Strömungen entstand in der Folge des Kuttenberger Dekrets die Idee einer böhmischen Nation, welche von Gott auserwählt war und ihren eigenen Idealen treu bleiben musste. Diese Allianz aus König, Reformern und böhmischer Elite war mächtig genug, alle Versuche aus dem Ausland unwirksam zu machen, die Reformer auszuschalten.
Die Bücherverbrennung von 1410
Die Unterstützung durch den König war zwar oberflächlich, aber sie reichte aus. Wenzel sah in Erzbischof Zbynek die Quelle seines Ärgers mit ausländischen Querulanten.
Als der Erzbischof dann die Werke von John Wyclif einzog und Exkommunikationen aussprach, hatte das kaum Wirkung. Der König half nicht bei der Durchsetzung. 1410 wollte er das Thema im Schnellverfahren endlich zu Ende bringen und zog die Schriften ein, um sie zu verbrennen.
Das führte zu öffentlichem Aufruhr. Studenten zogen durch die Stadt, und die Prager Bürger kündigten ihre Dienstverpflichtungen auf, bedrohten Priester und komponierten vulgäre Schmählieder gegen die Bücherverbrennung und die schlechten Theologiekenntnisse des Erzbischofs. Damit war das Thema auf der Straße angekommen und breitete sich von Prag in die Provinz aus, wo Tschechen und Deutsche gegeneinander angingen. Der Erzbischof ging ins Exil. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Leibarzt des Königs, der wenig Interesse an einer Kontroverse hatte.
Aufstieg und Fall des Jan Hus
Hus wurde nach dem Dekret von Kuttenberg zum eigentlichen Gesicht der Hussiten, die zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht diesen Namen trugen. 1409 wählten die Gelehrten ihn zum Rektor der Universität, und 1410 erlangte er weitreichende Bekanntheit durch seine heftigen Proteste gegen die Bücherverbrennung.
Hus radikalisierte sich weiter, auch wenn er bis dahin nur radikalere Prediger und Denker in Schutz genommen hatte. Ein zynischer Ablasshandel, der in Prag begann, zerstörte bald darauf die Beziehung zum König. Im Zuge der Kirchenpolitik bot ein Prediger Ablässe feil für jeden, der an einem Kreuzzug gegen den König von Neapel teilnahm. Das Ganze war reine Machtpolitik, jedoch erhielt König Wenzel Anteile an den Ablassverkäufen. Hus predigte gegen die Praktiken an und verärgerte so den König.
Die ersten Märtyrer
1412 trat dann auch eine waldensisch geprägte Volkshäresie auf, die mit viel Tohuwabohu einherging. Die Volksdemonstrationen waren derbe Schauspiele. Als Prostituierte verkleidete Männer boten Ablassbriefe feil. Anderswo wurden die Truhen für das Ablassgeld mit Kot beschmiert, und man hielt im Dom den Geldtruhen gegenüber Spottreden über Belial, Mammon und andere Dämonen der Gier.
Zunehmend brach Gewalt aus, die von den Konservativen entsprechend beantwortet wurde. Schlägereien waren an der Tagesordnung. Drei der Aufwiegler gegen den Ablass ließ König Wenzel kurzerhand enthaupten. Ihre Leichen wurden zur Bethlehemskapelle von Jan Hus gebracht. Eine gewaltige Menschenmenge folgte ihnen und tauchte die eigenen Kleider in das Blut dieser Toten. Die Bewegung hatte ihre ersten Märtyrer.
Verstärkung aus Dresden
Die Bewegung radikalisierte sich weiter durch die Ankunft von Gelehrten aus Deutschland unter Nikolaus von Dresden. Sie traten ein für unabhängige Priester, Enteignung der Kirche, Abspaltung von der Kirchenhierarchie, die Ablehnung von Eidschwüren usw. Sie waren besonders wichtig, weil sie dem gemeinen Volk mit anschaulichen Bildern die Fehler der Kirche aufzeigten.
Prag war dafür perfekt, denn die Stadt war eine der größten Mitteleuropas, und gut 40% der Einwohner waren mittellos – die Kritik an der Prunksucht fiel hier auf fruchtbaren Boden. Auch hatten in Prag die Handwerker den Konflikt um die Macht zwischen Handwerkern und Patriziern gewonnen, der zu dieser Zeit in vielen europäischen Städten im Gange war und meist zugunsten der Patrizier ausging.
Die Verbannung von Jan Hus
Die Entwicklungen in Prag wurden in Schreiben nach Rom in apokalyptische Worte gekleidet, und der zuständige Kardinal ließ Hus verbannen. Den Bann wiederum setzte er mit Strafmaßnahmen gegen ganz Prag durch – und der König hatte ja mittlerweile von Hus abgelassen. Er bat Hus, Prag zu verlassen, da die Krone unter Druck des Auslands geriet.
Hus floh darum aus der Stadt nach Südböhmen, wo der Adel ihn unterstützte. Er baute seine Basis innerhalb des Landadels und der ländlichen Bevölkerung aus, während er seine theologischen Ideen verfestigte und ausformulierte. Gleichzeitig predigte er weiterhin wie wild. In Scheunen und anderorts zog er über den Papst, Priester, Bischöfe, Kardinäle und auch die Geistlichen der Mönchsorden her.
Das Konzil in Konstanz
Wenzel und sein Bruder Sigismund, der mittlerweile zum deutschen König aufgestiegen war, wurden sich nach Jahren des Streits einig, dass sie sich gegenseitig helfen würden. Wenzel würde der Kaiserkrönung seines Bruders zustimmen, wenn dieser das Problem mit Hus löste.
Sigismund sorgte darum dafür, dass in Konstanz ein Konzil der Kirche einberufen wurde, um das Schisma zu beenden. Hus wurde zum Konzil geladen. Er erhoffte sich eine Lösung seiner Streitfragen, vielleicht sogar einen Erfolg seiner Reformbestrebungen. Wenzel wiederum war Hus los, der ja nun das Land verlassen hatte.
Hus vertraute seinem freien Geleit nicht vollständig. Er machte vor der Abreise sein Testament, aber gleichzeitig war auch die Gefahr zu Hause groß, falls er dem Konzil fernblieb. Bestenfalls konnte er darauf hoffen, dass seine Ansichten und seine Bewegung vom Konzil zumindest teilweise legitimiert wurden.
Haft in Konstanz
Johannes XXIII., der dritte Papst in dieser Zeit, hatte Hus Bewegungsfreiheit zugesichert, solange er nicht predigte. Trotzdem wurde Hus unter Stubenarrest gesetzt, und als Johannes aus Konstanz floh, setzte man ihn im Schloss des Bischofs von Konstanz in Einzelhaft.
Das Konzil, welches 1414 begann, endete für Hus mit dem Tod . Die böhmischen Gläubigen erhielten regelmäßige Berichte aus Konstanz und nahmen an der Gefangenschaft und der Missachtung quasi „direkt teil“. Der Sekretär eines adligen Förderers von Hus schrieb seine Augenzeugenberichte als Buch nieder, welches später die Heiligengeschichte des Märtyrers Hus wurde.
Hus‘ Anhörung zu den reformatorischen Fragen wurde zur Farce. Der deutsche König Sigismund rechnete fest damit, die Krone des böhmischen Königs von seinem kinderlosen Bruder Wenzel zu erben, und nahm darum zumindest ein wenig Rücksicht auf die Gefühlslage der Böhmen. Trotzdem wurde vom Konzil schließlich die Verbrennung des Häretikers Hus beschlossen.
Böhmen verteidigt seine Ehre
Die Adligen in Böhmen verstanden vielleicht nicht die theologischen Fragen, um die es ging, aber sie verstanden Fragen der Ehre. Jan Hus‘ freies Geleit war gebrochen, und bei seiner Anhörung hatte man derart viele Unterbrechungen und Zwischenrufe geduldet, dass eine Verteidigung gar nicht möglich gewesen war – ein Märtyrer war geboren. Dann wurde auch noch König Sigismund belauscht, wie er der Verbrennung zustimmte und.
452 Adlige und Edelleute unterschrieben einen Protestbrief gegen Hus‘ Hinrichtung, viele davon aus dem ländlichen Gebiet, in dem er im Exil Zuflucht gefunden hatte. Das war der bisher direkteste und größte Widerstand gegen die Rechtsprechung der Kirche in Glaubensdingen.
Beim Konzil ging es eben nicht nur um Glaubensfragen. Das religiöse Gefühl der Bewohner Böhmens vermischte sich mit der Verteidigung der nationalen Ehre an sich. Hus weigerte sich bis zuletzt, all seinen Thesen abzuschwören, was den Widerstand in der Heimat begründete, als Gesandte der Kirche dort eintrafen, um die Beschlüsse des Konzils durchzusetzen.
Die hussitische Bewegung war noch nicht am Ende, und es brauchte vier Kreuzzüge, um sie einzuhegen.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- „Ablass (Mittelalter)“, Historisches Lexikon Bayerns (online).
- „Hussiten“, Lexikon des Mittelalters (online), Bd. 5, Spalten 232–236.
- Brandmüller, W., „Konstanz, Konzil v.“, Lexikon des Mittelalters (online), Bd. 5, Spalten 1402–1405.
- Hooper, Nicholas, und Bennett, Matthew, The Cambridge Illustrated Atlas of Warfare. The Middle Ages, 768–1487. London, 1996.
- Lambert, Malcolm, Häresie im Mittelalter. Von den Katharern bis zu den Hussiten. Übersetzt von Raul Niemann. Darmstadt, 2001.
- Macek, J., „Hus, Johannes“, Lexikon des Mittelalters (online), Bd. 5, Spalten 230–231.
- Machilek, Franz, Hrsg. Die hussitische Revolution. Religiöse, politische und regionale Aspekte. Köln, 2012.
- Foto Statue: Dennis Archer / CC BY-SA
- Karte der Ländereien von Böhmen: Maximilian Dörrbecker / CC-BY-SA