Der „gute König“ wird vom „bösen König“ abgesetzt, und in der Folge kämpfen die „Good Guys“ gegen die „Bad Guys“, um das wieder zu ändern. Ein Klassiker im Pen & Paper Rollenspiel. Bei Dungeons & Dragons sogar in den Regeln festgeschrieben durch die Alignments.
Gut und Böse sind zwei Schlagwörter, die im Fantasy-Genre eine Menge Gewicht haben. Ebenso in der Politik und der Geschichte. Nur im Cyberpunk werden sie weitestgehend ignoriert – aber dort ist ja auch alles moralisch grau. Damit du als Spielleiter und Spieler mit diesem Themen-Klassiker aber arbeiten kannst, ist es hilfreich, diesen Oberbegriffen etwas Leben einzuhauchen. Ich widme mich hier für den Anfang erst mal dem Bösen, denn wer kann den Verlockungen der Sünde schon widerstehen?
Gut & Böse – Einfach aber unkonkret
Die klare Aufteilung in Gut und Böse hat einen starken Charme für das Erzählen von Geschichten. Zum einen löst sie eines der Grundprobleme jeder Geschichte: Mit welcher Seite sympathisiere ich? Zum anderen ist sie einfach.
Damit eine Story jedoch richtig zieht, muss sie uns Spieler emotional packen und mitreißen. Das tut sie nur, wenn wir sie nachempfinden und nachvollziehen können. Im Pen & Paper Rollenspiel tun wir das über unsere Charaktere, und hier bricht das einfache Gut-Böse-Schema dann auch bereits völlig zusammen, auch wenn es in seiner Kernidee erst einmal nützlich erscheint.
„Böse“ erklärt nichts
Beide Konzepte sind eines nicht: konkret. Sie sagen nichts über die Beweggründe eines Charakters aus und sie helfen nicht dabei, die tatsächliche Geschichte zu planen. Auch tragen sie nichts dazu bei, zu beantworten, warum etwas geschah oder jemand etwas tut. Es ist auch immer ein wenig politisch, schließlich ist es ein starkes Konzept, das aber nichts beschreibt. Es bleibt immer unklar, was genau man meint, wenn man etwas als böse labelt.
Kurz, Gut und Böse sind nicht das, was wir neudeutsch „actionable“ nennen, also aktionstauglich. Auf dieser Basis kann man darum keine Entscheidungen für den Spielverlauf treffen. Das ist für ein dynamisches Erzählmedium wie das Rollenspiel jedoch ein großes Problem. Schließlich hängt die Fähigkeit zum Improvisieren doch gerade von nachvollziehbaren Motiven der Charaktere ab.
Gehen wir etwas weiter in die Tiefe, dann verlassen wir schnell die Ebene von abstrakten, scheinbar „urtümlichen“ Kräften. Sobald wir nicht mehr von „den Guten“ und „den Bösen“ denken, müssen wir diese beiden Seiten irgendwie ersetzen – denn wir wollen ja den Vorteil der Klarheit nicht verlieren. Stattdessen denke ich lieber in der klassischen Zweiteilung des Protagonisten und des Antagonisten. Im Rollenspiel ist die Gruppe der Spielercharaktere als Ganzes sozusagen der Protagonist, der gegen einen einzelnen Antagonisten angeht.
Was ist das Böse?
Schwierige Frage, nicht wahr? Ich will hier auch gar nicht Jahrzehnte der Philosophie zusammenfassen. Es ist aber nicht das Gleiche wie „schlecht“. Schlecht ist so einiges. Jemand kann schlechte Taten begehen, ohne direkt Böses zu tun oder böse zu sein. Für Fantasy-Geschichten und Rollenspiel ist die Zuspitzung auf ein etwas engeres Verständnis nützlich.
Im Fantasy-Genre finden wir das Böse hauptsächlich in zwei Formen. Die erste ist das Böse als natürliche Urkraft. Meistens wird es personifiziert in der Form böser Wesen wie böser Götter, Geister und Dämonen.
Die zweite Form, und die ist für Geschichten sehr viel wichtiger, weil universeller, ist die Idee des moralischen Fehlverhaltens. „Böse sein“ als Charakterzug, als die Auswirkung der Taten eines Charakters – oft des Antagonisten. Hier sind wir ja wieder beim Grundproblem angekommen: Was heißt das eigentlich, böse zu sein oder Böses zu tun?
Göttliches Böses
Sehr viel einfacher ist da schon die Idee des ewigen Bösen. Quasi wie durch eine Naturkraft werden Leute zum Bösen verführt oder geschehen schlimme Dinge. Ein Erdbeben zerstört die halbe Stadt? Das Waisenhaus brennt ab? Hungersnot? Vampire? Sieht man das Böse als Naturkraft, dann kann man hier nichts machen. Ein gewisser Anteil der weltlichen Existenz beinhaltet dann schlicht immer das Böse.
Im Fantasy ist es üblich, diese Form des Bösen mit einem Gesicht zu versehen, und zwar in Form von grausamen Dämonen, wütenden Geistern oder eben dunklen Göttern. Dabei kann man sich aus Jahrtausenden von Religionsgeschichte bedienen. Sobald Menschen mit ins Spiel kommen, wird es kompliziert, aber für Monster ist das eine prima Sache.
Vampire, Werwölfe, Dämonen
Das urtümliche Böse finden wir meist wieder in der Form von Monstern. Egal ob sie nun im Wald in einer alten Höhle hausen oder aus der siebten Sphäre herbeigerufen werden, sie sind da, sie waren schon immer da, und ihre Motivation ist eher tierisch als menschlich. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob sie komplexe Gespräche führen – solange sie aufgrund ihrer Natur morden, töten und verführen, sind und bleiben sie böse. Sie sorgen dafür, dass der alte Wald gefährlich und einschüchternd bleibt, man seine Kinder vor der Dunkelheit warnt und das Volk den Göttern huldigt.
Monster eben. Sie haben ihren Platz – aber der eigentliche Horror lauert doch im Abgrund unserer eigenen Seele, oder? Wie man das dann praktisch erzählt, das ist noch einmal eine andere Sache.
Paktierer und andere arme Gestalten?
Das göttliche Böse wirft eine problematische Frage auf: Wer ist schuld, wenn der Prinz und die Prinzessin auf dem Altar von Shuub’Net geopfert werden? Der Kultist mit der dreifach gezackten Schlangenklinge oder doch der Dämon, den er anbetet? Ist ein Pakt immer auch ein automatisches Schuldzugeständnis?
Dürfen wir also jeden Anhänger eines dämonischen Kultes einfach töten? Schwierig! Gut und Böse setzen als moralische Ideen voraus, dass es so etwas wie einen freien Willen gibt. Dämonen und dunkle Götter wiederum sind Kräfte der Verführung. Häretiker und auch Hexen wurden in der realen Historie immer wieder zum Abschwören aufgefordert. Die politische Komponente fehlt bei echten Dämonen natürlich. Doch wenn wir Kultisten zu den menschenförmigen Sockenpuppen übernatürlicher Kräfte machen, dann sind sie sogar weniger interessant als Vampire und Werwölfe; denn nun fehlt ihnen all das, was sie menschlich macht – und damit zu unserem verzerrten Spiegelbild.
Der böse Paktierer
Das heißt nicht, dass wir Paktierer im Fantasy nicht als böse deklarieren könnten. Es braucht nur eine zweite Komponente, nämlich Freiwilligkeit und eine Entscheidung, die wider besseres Wissen geschah. Kurz: moralische Verkommenheit, die schon vor dem Pakt bestand.
Gleichzeitig öffnet dir das auch eine Tür für eine weitere Erzählebene, die im reinen Gut-Böse-Schema gerne einmal untergeht: Erlösung und Wiedergutmachung. Beides sind Motive, die wir aus der realen Religion kennen, die aber im Fantasy ziemlich oft ignoriert werden.
Über die Verführung (noch so ein religiöser Klassiker) ist es möglich, den armen Verblendeten die Augen zu öffnen für das, was ihr Pakt bewirkt hat. Man kann dadurch auch den eigentlichen Antagonisten von einfachen Mitläufern abgrenzen. Alle mögen ihre Gründe haben, um den Pakt einzugehen. Doch nur diejenigen, die nicht mehr zu retten sind, lassen nicht ab, nachdem sie verstanden haben, dass sie vom Dämonen hinters Licht geführt wurden!
Moralisches Versagen: Sünde
Moralisches Versagen ist also der Kern des Bösen, sobald es um Menschen geht. Moral, anders als Ethik, hat ihren Ursprung nicht in der philosophischen Logik eines kantschen Imperativs. Vieles davon kommt aus der Religion, wird begründet aufgrund von Traditionen oder ist schlicht eine Setzung der Ältesten. Wie viel Nacktheit beispielsweise in der Öffentlichkeit angemessen ist, das ist eine Frage der Moral, nicht der Ethik.
Ein Kernproblem der Moral ist, dass es keinerlei moralische Fakten gibt. Moral, anders als Ethik, ist immer eine kulturelle Sache. Gesellschaftliche Konventionen und deren Durchsetzung durch moralische Instanzen wie Priester, Fürsten und Gelehrte.
Fürs Rollenspiel bietet sich das als ein klassischer Reibungspunkt für spannende Geschichten an: Der Antagonist, der moralische Setzungen der Gesellschaft nicht akzeptiert und die „moralische Ordnung“ ignoriert – im Fantasy oft gleichgesetzt mit der göttlichen Ordnung (aber eben nicht nur).
Moralische Urteile zu fällen macht Spaß!
Moral hat einen weiteren Vorteil: Moralische Urteile zu fällen, macht Spaß und ist motivierend … Klingt erst einmal hart, ist aber so! Menschen reagieren stark auf emotionale Reize, und kaum etwas ist so einfach, wie jemand anderes zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Sich auf Kosten anderer zu erheben, ist bequem. Ebenso praktisch ist es, eine Gruppe zu bilden, indem man sich mit anderen „moralisch wertvollen“ Menschen zusammentut. Drinnen gut, draußen schlecht. Klarheit!
Hier liegt deshalb auch die Gefahr, dass „das Gute“ zum „Bösen“ wird. Moral ist schließlich sehr dehnbar und vor allem steter Interpretation unterworfen.
Moralische Grauzonen
Kommen wir darum zum letzten Punkt! Zum Bereich zwischen dem Guten und dem Bösen – die Grauzone. Weideland des modernen Geschichtenautors, wovon einige es partout nicht lassen können, uns mit steter Ambivalenz zu erschlagen, die niemals zu einem Punkt kommt und die Welt in Grautönen zeichnet. Dies nur als Warnung, dass du es auch übertreiben kannst mit dem Grau. Gelegentlich ist es gerade im Rollenspiel sehr schön, einfach mal jemanden zu treffen, der nett und gut gelaunt ist, ebenso sehr, wie es Spaß machen kann, jemanden einfach mal zu hassen, ohne dass es komplexer als das wird. (Siehe: Moralische Urteile fällen macht Spaß …)
Ganz am Anfang habe ich erwähnt, dass Gut und Böse auch Orientierung bieten, denn sie schaffen klare Teams. Die Grauzone hat diesen Vorteil nicht, dafür einen anderen: Spannung und Entscheidungsfreiheit.
Die Grauzone bedarf der Interpretation
Die Grauzone braucht nämlich Interpretation! Was ist gut, was ist böse? Das ist hier völlig unklar. Übrigens auch ein reales Problem. Das Christentum mag z.B. kein Töten (wirklich nicht. Die Religion ist da recht eindeutig). Mittelalterliche Theologen haben sich mit der Frage des „gerechten Krieges“ (bellum iustum) jahrhundertelang abgequält. Eine der beliebtesten Erklärungen war am Ende ganz simpel: „Wenn wir gewonnen haben, dann wollte Gott das so, und dann war das auch in Ordnung.“ Also keine Antwort auf die moralische Zwickmühle.
Das gleiche Problem des Abwägens gilt natürlich auch im Kleinen. Ist das Stehlen von Rentenzahlungen böse? Ich sage mal Ja. Ist das Stehlen eines Brötchens böse, wenn man schrecklich hungert und auf der Straße lebt? Ich sage mal Nein.
Ist jedoch das Stehlen eines Smartphones, weil man Angst hat, vor seinen Mitschülern als uncool dazustehen, und fürchtet, sozial ausgeschlossen zu werden, böse? Schwierig. Schlecht ist es auf jeden Fall, denn es zerrüttet die Grundlagen der Gesellschaft und bricht mit kulturellen Normen. Auch ist der Beweggrund egoistisch (nicht nur, aber auch). Aber hier befinden wir uns in einer moralischen Grauzone, die es erlaubt, etwas zu tun.
Grauzonen werfen Fragen auf
Die Spielercharaktere haben genau in solchen Situationen die Möglichkeit, etwas zu tun. Helfen sie dem Dieb, eine zweite Chance zu erhalten? Wenn ja, warum? Spielt der Hintergrund und ihre Vergangenheit eine Rolle? Vertreten sie die Ansicht, dass Strafe zwingend sein muss und die Beweggründe keine Rolle spielen? Solche Fragen erzeugen Spannung, weil sie eine Entscheidung erzwingen, und Spannung ist doch der eigentliche Grund, warum wir überhaupt das Gute und das Böse in unserem Spiel wollen. Damit zwei Kräfte symbolisch gegeneinander antreten, die für mehr stehen als nur für hohle Plattitüden. Denn nur dann können deine Charaktere für etwas einstehen und ihre Charaktermotivation und ihre ureigenen Motive ins Spiel einbringen.
Zusammenfassung
Das Böse und ebenso das Gute sind unkonkrete Konzepte. Sie mit Leben zu füllen, bedeutet, sie konkreter zu machen und ihre Grauzonen zu finden. Im Pen & Paper Rollenspiel und im Fantasy-Genre allgemein sind sie dennoch wichtige Leitbilder.
Das Böse im Fantasy kann, vereinfacht gesagt, zwei Ausprägungen haben: das urtümliche, natürliche Böse und das moralische Böse, das der Mensch durch seinen freien Willen erschafft.
Das urtümliche Böse wird dabei meist personifiziert. Wir finden es als Monster in der Welt, welches tötet, weil es töten will und weil das Morden seiner Natur entspricht, beispielsweise Vampire oder Werwölfe. Die zweite Form des urtümlichen Bösen ist göttliches Böses, also dunkle Götter, aber auch Dämonen.
Gerade das göttliche Böse bietet über Pakte und „falsche Götzen“ (die im Fantasy aber real sind!) eine Möglichkeit, wieder Menschen mit ins Spiel zu bringen. Paktierer müssen aber, damit sie Charaktertiefe erlangen, die Möglichkeit zur Abkehr haben, bzw. diese im Vorfeld ausgeschlagen haben. Nur wer wider besseres Wissen handelt, ist „böse“, gerade auch, weil er gegen moralische Normen handelt.
Die moralischen Vorstellungen einer Gesellschaft sind darum der menschlichste Spielraum für „das Böse“. Dort finden sich nicht nur viele Grauzonen, sondern auch die stete Gefahr, dass die Anwendung moralischer Konventionen überhandnimmt und in Unterdrückung oder Hetze umkippt. Darum ist gerade die moralische Grauzone besonders interessant, weil sie Fragen aufwirft und die Spielercharaktere zum Handeln zwingt.
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Ich habe unter anderem auf die hervorragende Stanford Encyclopedia of Philosophy zurückgegriffen. Folgende Artikel waren für mich hilfreich (Englisch):