Mächtige Männer wie King Henry oder Bischof George Neville fraßen mit ihren Gästen das Umland leer, wenn sie Tausende Schweine, Ziegen und Hirsche auf ihren Thronbesteigungsfeiernals Festmahl auftischen ließen. Dabei drehte sich zwar vieles um das Essen, aber ausgefeilte Riten, Zeremonien und Ehrenämter luden das Gelage auch mit einem hohen symbolischen Inhalt auf. Wer war wichtig, wer nicht? Wer stand wo in der Gunst des Herrschers? Und vieles mehr.
Aber nicht nur der Adel feierte Feste! Auch die unteren Stände vom „einfachen Volk“ wussten sich zu amüsieren und zusammenzukommen. Natürlich galt es, einen Anlass zu finden, denn einfach nur so zu feiern, das gilt selbst heute noch als unangemessen oder gar hedonistisch und frivol. Eine „Ausrede“ ist nötig! Ein Event, um das man ein Fest strukturieren kann.
Ein wichtiger Moment im Leben der Bauern war die Hochzeit. Sippen hofften auf baldigen Nachwuchs, um ihre Errungenschaften zu bewahren. Neue Familien wurden gegründet und die Grundlage der Gemeinde und der Gesellschaft immer wieder erneuert.
Als Kontrast zu den königlichen Festen aus dem letzten Artikel schauen wir uns heute deshalb ein bäuerliches Hochzeitsfest an; wie es bis um das Jahr 1900 traditionell in Norwegen gefeiert wurde.
Grundlagen einer norwegischen Bauernhochzeit
Eine Hochzeit war eine großartige Gelegenheit, um zusammenzukommen. Jung und Alt, Mann und Frau sowie sozial Besser- und Schlechtergestellte versammelten sich für ein dreitägiges Fest! Es war auch eine Gelegenheit, gesehen zu werden und sich zu zeigen. Eine Hochzeit war eine der wenigen Gelegenheiten dazu, denn nur selten fanden (fast) alle Leute einer Gemeinde gleichzeitig zusammen. Das Zeremoniell einer traditionellen norwegischen Bauernhochzeit spiegelte dabei die soziale Ordnung der Gemeinde und bestärkte so die bestehende Ordnung, in die sich nicht nur die neuen Eheleute einfügen mussten.
Feier und Festmahl
Das Festmahl und die Festlichkeiten konnten zwischen zwei und acht Tagen dauern! Dagegen verblasst manche moderne „Traumhochzeit“. Die tatsächliche Dauer hing vorrangig vom Geld und vom Status der Gastgeber ab. Diese waren entweder die Eltern der Braut oder die Eltern des Bräutigams. Im Schnitt war aber mit einer drei- bis viertägigen Feier zu rechnen.
Die drei ersten Tage
Die ersten drei Tage einer norwegischen Bauernhochzeit hatten eigene Riten, die sich auch in ihren Namen spiegelten. Frei übersetzt waren dies:
- Hochzeitstag: Am ersten Tag wurde die Eheschließung in der Kirche durchgeführt.
- Grütztag: Am zweiten Tag bestand das Hauptgericht aus der Brautgrütze, als Teil davon, dass die Braut als frischgebackene verheiratete Frau gefeiert wurde, nachdem zuvor das Ehebett geteilt worden war. Dabei trug sie auch ein Kleid, das ihren Status als verheiratete Frau anzeigte.
- Abschiedstag: Am dritten Tag wurden die Geschenke überreicht, und die Gäste verließen die Feier, um nach Hause zu gehen. Die Geschenke waren praktischer Natur und meist Geld. Damit wurden die Kosten der dreitägigen Feier abgefedert und zudem den neuen Eheleuten etwas Startkapital für ihre neue Familie verschafft.
An allen Tagen wurde natürlich getrunken, getanzt und gefeiert. Tagein und tagaus, auch die Nacht hindurch! Konnte sich eine Familie ein längeres Fest leisten, folgten Tage mit einer informellen Feier ohne eigene Riten. In diesem Fall dauerte das Fest dann so lange, bis die Gäste von Alkohol, Tanz und Schlafmangel überwältigt wurden und schlicht nicht mehr konnten. Die Behörden versuchten immer mal wieder, solche Exzesse zu regulieren.
Ehrenämter
Genau wie ein Gelage des Adels benötigte auch eine Bauernhochzeit helfende Hände. Ein Posten als einer der „Diener des Hochzeitsfestes“ war eine ehrenvolle Aufgabe! Eine der Frauen war für die Verpflegung verantwortlich und kümmerte sich um die Vorräte und beaufsichtigte die Köchinnen, die ebenfalls mithalfen. Dazu kamen noch die Serviermädchen und der Mundschenk, der Bier und Schnaps servierte. Außerdem die Diener von Braut und Bräutigam.
All das wurde überwacht vom Zeremonienmeister. Ein Fachmann, der eigens angeheuert wurde, um darüber zu wachen, dass alles so ablief, wie es sollte. Und das umfasste nicht nur logistische Fragen, sondern eben auch die Riten und das Zeremoniell. Angefangen mit dem feierlichen Einladen der Gäste.
Das Einladen der Gäste
Das Aussuchen der richtigen Karten und das Anheuern eines Gestalters sind für viele „Traumhochzeiten“ heute noch üblich. Dieser Aufwand ist aber nichts gegen die Hochzeitseinladung im vorindustriellen Norwegen! Das Aussprechen der Einladung war neben der Planung der Feier die erste große Amtshandlung des Zeremonienmeisters, denn hier galt es bereits das Protokoll einzuhalten.
Wer wird eingeladen?
Wer eingeladen wird, ist nur sehr begrenzt die Wahl der Brautleute. Die bäuerliche Gesellschaft baute auf dem Verwandtschaftsnetzwerk und den Verknüpfungen mit der Gemeinde auf – hier Leute auszuschließen, stand also eigentlich nicht zur Debatte. Das hätte Konsequenzen für das Zusammenleben – und der soziale Frieden ist eine der zentralen Säulen einer überlebensfähigen Gemeinde. Man ist aufeinander angewiesen. Streit im Dorf ist ein Problem!
Auf jeden Fall immer dabei waren die Familien des eigenen belag, der nachbarschaftlichen Gruppe von Häusern, die auch rechtlich miteinander verknüpft waren und Rechte und Pflichten teilten. Leute aus dem belag der Schwiegereltern, die nicht das Fest veranstalteten, konnten eingeladen werden – mussten aber nicht.
Die Freunde von Braut und Bräutigam sind ebenfalls Pflicht! Egal woher sie stammen.
Im Allgemeinen gab es aber wenig Auswahl, wen man einlud und wen nicht. Soziale Verpflichtungen und Fragen der sozialen Ordnung diktierten größtenteils, wer zu den Gästen gehörte. Verheiratete Gäste waren allerdings angehalten, Essen mitzubringen, das für das Fest verwendet werden konnte. Das ist auch sinnvoll, denn der Zukauf von Lebensmitteln ist finanziell und auch logistisch kaum zu machen. Wo denn auch? Geld wird zudem für andere Dinge benötigt, die man nur mit Geld kriegt.
Das Aussprechen der Einladung
Spätestens eine Woche vor der Hochzeit begann das Einladen der Gäste. Der Zeremonienmeister besuchte reihum die Häuser der Gäste, denen er ihre Einladung als Rede oder Gedicht vortrug. Die Gäste zierten sich und suchten nach Ausreden, nicht zu kommen, um ihre Bescheidenheit unter Beweis zu stellen. Derweil blieb der Zeremonienmeister beharrlich stehen. Er setzte sich erst hin, wenn die Gäste die Einladung endlich annahmen. Dieses „Zeigen von Bescheidenheit“ findet sich auch in anderen Teilen der Rituale wieder.
Wer nun glaubt, dass das ein halbes Stündchen von lustigem Hin und Her wäre, der liegt falsch! Das Aussprechen der Einladung konnte schon einmal einige Stunden oder gar halbe oder ganze Tage in Anspruch nehmen. Der Zeremonienmeister konnte auch nicht gehen, solange die Einladung nicht angenommen war. Das wäre dasselbe, als wäre sie nie ausgesprochen worden – und das wäre ein gewaltiger sozialer Fauxpas, der eine große Schande für Gastgeber und Gäste gewesen wäre.
Arm und Reich
Keine Hochzeit ist groß genug für alle Menschen eines Landstrichs. Die norwegische bäuerliche Gesellschaft war recht egalitär. Die Bevölkerung nahm zu, und es gab nicht mehr genug Land. Das bedeutete, dass viele Leute als arme Knechte oder Kleinpächter auf dem Land anderer arbeiteten. In den meisten Gebieten blieben die Armen und die Wohlhabenderen zusammen Teil derselben Gemeinde, desselben belag.
Lediglich im Osten des Landes entwickelte sich im 18. und 19. Jh. eine frühe Klassengesellschaft. Dort arbeiteten die Knechte auf dem weitläufigen Land anderer und wurden innerhalb desselben Landstrichs in einen eigenen, zweiten belag ausgelagert – sodass auch keine rechtlichen und sozialen Verpflichtungen zwischen den Reichen und den Armen bestanden. Die reichen, freien Bauern Ostnorwegens schlossen diese Knechte auch von ihren Festen aus. In den meisten Teilen des Landes waren Knechte und Bauern allerdings Teil desselben belag.
Wer kommt nicht?
Die meisten oder alle Erwachsenen fanden sich auf den Hochzeitsfesten ein. Wer blieb also für die drei Tage zu Hause, um die Tiere zu versorgen oder auf die kleinen Kinder aufzupassen? Man darf ja nicht vergessen: Bauer zu sein bedeutet auch, dass man wirklich 365 Tage im Jahr die Tiere versorgen muss. Diese Aufgabe entfiel auf die Knechte und Diener, vielfach unverheiratete junge Männer und Frauen, die sich für einige Jahre als Arbeiter verdingten, um über die Runden zu kommen. Dazu kamen noch die Tagelöhner und der eine oder andere Bettler, der für eine Weile Unterkunft auf einem Hof gefunden hatte.
Gaben für die Uneingeladenen
Diese Leute blieben nicht gänzlich außen vor. Je nach Gegend erhielten sie davor oder danach etwas von den Speisen und Gelegenheit zum Feiern. In vielen Teilen Norwegens wurden die Speisegeschenke der Gäste am Tag davor zum Haushalt gebracht, wo die Feier stattfand. Das übernahmen die Diener, Knechte und anderen Uneingeladenen. Diese wurden dann zu einer Mahlzeit und etwas zu trinken eingeladen, und danach wurde getanzt. Ein Bericht hält fest, dass, wenn die Geschenke von einem Burschen gebracht wurden, dieser betrunken gemacht wurde, und wenn es eine junge Frau war, dann konnte sie das Hochzeitskleid beschauen.
Manchmal gab es nach der eigentlichen Hochzeitsfeier auch eine zweite Party, wo die Uneingeladenen die Reste vertilgen konnten.
Zuschauer
Etwas ungewöhnlicher sind dann noch die Zuschauer! Der Feier, nicht der Hochzeitszeremonie in der Kirche natürlich. In einigen Teilen des Landes galt es als grob ungehörig, uneingeladen zu einer Hochzeitsfeier zu kommen. Nur junge Männer, die auf der Suche nach einer properen Schlägerei waren, taten das. Sie zeigten ihr Ansinnen, indem sie eine schwarze und eine weiße Socke trugen.
Andernorts hingegen war es sogar üblich, eine Aussichtsplattform aufzustellen, damit Zuschauer sich das gute Essen und die Tänze anschauen konnten. Wer sich allerdings dem Haus von der Küchenseite her näherte, der wurde behandelt wie ein Bettler.
Die eigentliche Feier
Vor der Kirche gab es einen ersten Happen – noch ganz ohne Zeremoniell. Immerhin mussten die Leute sich ja von der Anreise erholen. Dann, nach der Rückkehr aus der Kirche, kam das große Festmahl.
Die Platzierung der Gäste
Der Zeremonienmeister erklärte den Beginn des Gelages. Nur, dass keiner der Gäste sich setzte. Lediglich die Brautleute und ihre Eltern mit ihrem Haushalt saßen schon am Kopfende der Tafel. Der Rest, der zierte sich. Niemand wollte der Erste sein.
Jeder Versuch des Zeremonienmeisters, die Gäste zu platzieren, führte zu großem Widerstand. Einige protestierten lautstark, andere flohen, wieder andere versteckten sich. Packte er sie am Ärmel, dann leisteten sie bestmöglichen Widerstand.
Das konnte zu ungewöhnlichen Szenen führen, wenn beispielsweise ein Gast unter die Scheune floh und der Zeremonienmeister hinterherkriechen musste, um ihn mit aller Kraft herauszuschleifen. Ein andermal verfolgte der Zeremonienmeister einen Gast über einen halben Kilometer. Immer, wenn er einen Schritt auf den Gast zu machte, machte der einen Schritt zurück, bis der Gast nach fünfhundert Schritten endlich aufgab.
Der erste Gast an der Tafel musste im Allgemeinen vom Zeremonienmeister herbeigeschleift oder getragen werden. Nach und nach wurde es dann einfacher, weitere Gäste zu platzieren, da der Widerstand sich langsam auflöste, je mehr Leute platziert waren.
Die Sitzordnung
Da niemand sich freiwillig auf den Ehrenplatz setzte, musste der Zeremonienmeister diesen Stuhl füllen, indem er jemanden auswählte. Die erste Person, die platziert wurde, war immer der angesehenste Mann oder die angesehenste Frau.
Die wichtigsten Plätze, in der Nähe der Gastgeber, waren für die Leute reserviert, die einen vollwertigen Bauernhof besaßen. Danach kamen die Leute mit Zweidrittelhöfen, Halbhöfen usw. Innerhalb der einzelnen Gruppen wurde wiederum nach Verwandtschaftsverhältnissen sortiert.
War kein Platz für alle Gäste in der großen Stube, dann gab es meist noch einen Extratisch auf dem Flur, wo die dann die Ärmsten saßen. Mussten sogar mehrere Räume genutzt werden, dann wurden die Räume in abfallender Hierarchie von den Dienern bedient.
Der Zeremonienmeister platzierte jeden der Gäste einzeln. Er musste im Voraus gut recherchieren, wer wohin gehörte. Machte er einen Fehler, konnte das zu einem Eklat oder Streit führen, schließlich repräsentierte die Sitzordnung nicht weniger als die gesamte Gesellschaftsordnung der hiesigen Gemeinde.
Das Essen
Anders als bei einem königlichen Festmahl war natürlich nicht genug von allen Köstlichkeiten für jeden Gast vorhanden. Auch hier spielt deshalb die korrekte Aufteilung der Gäste auf die richtigen Tische eine Rolle!
Die besten Speisen fanden sich an der langen Tafel, wo die Brautleute und die Ehrengäste saßen. Diese Gerichte bestanden nach Möglichkeit aus den Vorräten der Gastgeber, die so ihre Ehrengäste direkt mit ihren eigenen Erzeugnissen bewirteten – und natürlich darauf achteten, diesen Erwartungen auch gerecht zu werden. Das wurde ergänzt durch die Geschenke der besten Höfe, nach Möglichkeit von den dort platzierten Ehrengästen selbst, die so einen sichtbaren Beitrag leisteten.
War etwas besser als erwartet, dann wurde es nicht dorthin gestellt, wo die Leute saßen, die es mitgebracht hatten. Die Küchenfrauen und die Meisterin der Speisen bewerteten die Speisen im Voraus und teilten sie dann entsprechend den Tischen zu. In einer Anekdote von 1860 wird berichtet, dass einer der armen Tische sich besonders an einem Brot erfreute, für das eine Frau am Tisch Zucker verwendet hatte – ungewöhnlich für ihren Stand innerhalb der Bauernschaft. Als die Küchenfrauen das erfuhren, brachten sie das Brot zum langen Tisch der Brautleute! Ob das als Ehre betrachtet wurde oder ob die Leute sich insgeheim ärgerten, dass sie kein süßes Brot mehr hatten, ist nicht überliefert.
Generell galt: Über die Lebensmittel konnten die Frauen der Höfe zeigen, was sie konnten. Derweil kümmerte der Zeremonienmeister sich darum, dass die soziale Rangfolge der Männer (und der Frauen) klar ersichtlich war. Nach einem Hochzeitsfest war auf jeden Fall jedem bewusst, wo in der Rangfolge seiner Gemeinde er sich befand.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quelle
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Fjellheim, B. (1991). Three Whole Days to an End. The Norwegian Peasant Wedding Feast as a Social Mirror. In H. Walker (Ed.), Feasting and Fasting. Proceedings of the Oxford Symposium on Food and Cookery 1990. Devon: Prospect Books.