Während ich hier sitze und diesen Artikel schreibe, ist mein Internet seit fast einem Tag ausgefallen. Bereits tags zuvor im Büro war es nicht leicht, ohne Netz zu arbeiten. Kein Datenabgleich über die Cloud, keine E-Mails, keine Möglichkeit, irgendwas mal eben schnell zu googeln, keine Büromusik aus dem Internet und nein, auch keine lustigen Katzenvideos, mit denen ich mich mal eben hätte ablenken können, wann immer mir langweilig wurde.
Natürlich konnten wir uns damit arrangieren, zumindest vorübergehend. Wir waren sogar vergleichsweise produktiv, wenn nicht sogar ein wenig produktiver als wir es mit Netz gewesen wären. Man arbeitet aber schon völlig anders, wenn man keinen Zugriff auf das weltweite Datennetz hat und selbst wenn man kurzfristig mangels Ablenkungen etwas schneller vorankommt, so stößt man doch schnell an einige harte Hindernisse, die diesen Vorsprung sehr schnell wieder auffressen. Unsichtbares Spaghettimonster behüte, dass man ein Buch benutzen muss, um etwas nachzuschlagen. Ich liebe Bücher, aber eines sind sie in den meisten Fällen nicht: Schnell.
Nie dagewesene Möglichkeiten
In einigen Punkten mag man sicher streiten, aber was Telekommunikation und den Zugriff auf weit entfernte Daten, externes Wissen, Bild- und Videomaterial angeht, leben wir sicherlich im bestmöglichen bisherigen Zeitalter. Wie sehr das Internet unseren Alltag, sowohl beruflich als auch privat, mittlerweile dominiert und wie wenig ohne Netz funktioniert, wird einem erst bewusst, wenn es dann eben tatsächlich mal für eine längere Zeit ausfällt.
Gerade jetzt in diesem Augenblick habe ich keine Ahnung, ob es Feedback zu unseren letzten Kartenpaketen gab, ob ein Leser unseres Blogs uns einen Kommentar geschickt hat, oder was für neue Stilblüten die amerikanische Bundespolitik mal wieder treibt.
Vieles davon muss ich nicht wissen, aber auch wenn es irgendwas gäbe, das mich interessieren würde: Just in diesem Augenblick bin ich völlig davon abgeschnitten.
Witzig daran ist, dass das mal völlig normal gewesen ist.
Andere Zeiten
Noch in den 80ern, der Zeit meiner Kindheit, war es vollkommen normal, dass die Tagesthemen am Abend über Dinge berichteten, die bereits mehrere Tage zurücklagen und bis zum Abend gab es damals überhaupt keine Nachrichtensendungen. Neuigkeiten kamen im Tagesrhythmus im Fernsehen, sowie periodisch im Radio. Für besonders wichtige Dinge gab es natürlich dringende Eilmeldungen und Sonderberichterstattungen. Aber nur für richtig wichtige Dinge, wie Flugzeugkatastrophen in Deutschland, schwere Zwischenfälle in einem AKW, oder bei einem Chemiebrand mit sich ausbreitenden Giftwolken.
Dabei war das Tempo der maximal möglichen Kommunikationsgeschwindigkeit damals kaum langsamer als heute! Wenn irgendwas in New York passierte, dann konnte mich jemand von dort damals, rein theoretisch, einfach anrufen und mir davon berichten. Ich würde dann in Echtzeit davon erfahren, verzögert lediglich durch die Zeit, die es meine Quelle gekostet hat, selbst davon Kenntnis zu nehmen.
Nur kannte ich damals niemanden in New York, der mich hätte anrufen können. Das galt auch für die meisten anderen Menschen in meinem Umfeld. Heute hingegen sieht das tatsächlich anders aus. Ich kenne sogar mehrere New Yorker, die ich, wenn es denn unbedingt nötig wäre, direkt kontaktieren könnte, wenn ich denn irgendetwas dringend wissen müsste.
Ich habe Kontakt zu Hamburgern, Münchnern, Engländern, Franzosen, Italienern, Russen und sogar Chinesen. Mal mehr, mal weniger, in vielen Fällen gänzlich unpersönlich und in wenigen Fällen sehr umfangreich. All das, ohne das ich die meisten davon jemals gesehen oder auch nur gesprochen hätte.
Meldetempo gleich Menschentempo
Bevor es aber Internet und Telefone gab, sah das natürlich ganz anders aus. Den direkten Kommunikationsmitteln gingen indirekte voraus, wie Telegrafie. Sie ermöglichte Informationen über große Distanzen zu springen, aber niemand hatte einen Telegrafen zu Hause stehen. Derartige Technik verband Länder, Regionen und Städte, aber keine Menschen.
Nur einen einzigen, weiteren historischen Schritt zurück und wir sind bereits bei den Urtypen der Kommunikation: Schrift und Sprache.
Nichts geht „mal eben schnell“
Mal eben kurz etwas notieren? Jemandem ganz schnell eine wichtige Mitteilung schicken? Heute in den meisten Lebenslagen gar kein Problem. Früher aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Wenn ich jetzt in diesem Augenblick Tobias eine Mitteilung schicken wollte, dann könnte ich sie ihm nicht in unserem Donnerhaus-Discord senden. Kein Internet ? Kein Discord. Auch E-Mail entfällt, denn auch das braucht Internet. Anrufen! Nein, geht nicht. Mein Telefon ist tot, denn es läuft via Internet-Telefonie über meinen Router, der ohne Internet gar nichts tut. Mobiltelefon also!
Das geht noch. Ich bin zwar ein Mobiltelefonmuffel, der ein ziemlich altes Smartphone besitzt, aber immerhin habe ich eines. Gerade jetzt aber funktioniert es nicht. Es war mitten in einem Softwareupdate, als mein lokales Internet ausfiel, und jetzt streikt es erst einmal. Eigenes Internet hat es nicht, um das Update zu Ende zu ziehen, weil ich keinen Mobilfunkvertrag habe, der Internet umfasst. Brauche ich schlicht nicht. Mein Handy kann ruhig über WLAN ins Netz. Nur gerade jetzt ist mein WLAN hier leider völlig nutzlos.
Was bliebe also?
You’ve got mail
Heute ist Post elektronisch. Wir tippen sie zackig am Computer und sobald wir auf Senden klicken ist sie auch bereits so gut wie am Ziel. Aber Post war einst wesentlich umständlicher als das und wenn jemand einen Brief bekam, dann hatte dieser einen umständlichen Weg hinter sich.
Wenn ich jetzt einen Brief an Tobias schreibe, dann nehme ich ein Blatt Papier aus meinem Drucker und fange an zu schreiben. Fehler streiche ich durch, nehme sie in Kauf, oder korrigiere sie mit Tipp-Ex, dem Büro-Elixier der 90er. Oder ich schreibe am Ende alles noch einmal in Reinform. Alternativ könnte ich mir vorher mehr Gedanken machen und einfach lernen weniger Schreibfehler zu machen.
Nun habe ich also meinen Brief geschrieben und stecke ihn in einem Umschlag. Sofern ich denn einen habe. Sonst muss ich zum EDEKA laufen und dort Umschläge kaufen, in der Hoffnung, dass dort nicht auch das Internet ausgefallen ist. Ist es das, kann ich nicht bezahlen, denn dann funktioniert auch keine Kartenzahlung.
Die analoge Post
Aber Umschläge habe ich hier. Welch Glück, ich finde sogar eine Briefmarke. Ich weiß zwar nicht, ob die ausreicht, und ich kann es nicht mal eben online nachgucken aber Ich bin optimistisch! Also rauf auf den Umschlag und … auf zum Briefkasten. Der wird, das steht zumindest ohne Umweg über QR-Codes und dergleichen direkt drauf, heute Abend geleert. Dann kommt jemand und bringt den Inhalt zum Verteilerzentrum. Dort wird die Post sortiert und dann, mit etwas Glück, bereits morgen zugestellt.
Die Post garantiert derartige Expresszustellung jedoch heute nicht mehr. Es kann also auch ein bis zwei Tage länger dauern. Wenn ich Tobi mitteilen möchte, dass wir für das Büro noch Teebeutel brauchen, dann kommt das definitiv zu spät. Wäre ohnehin albern, denn die könnte ich ja auch einfach direkt selbst kaufen, anstatt zum Briefkasten zu laufen, wo ich den Umschlag eingeworfen habe.
Was auch immer ich also Tobias auf dem Postweg mitteile, es erreicht ihn bestenfalls am nächsten Tag. Vermutlich eher später als das.
Es mag jetzt etwas seltsam anmuten, wenn ich hier erkläre, wie die Post funktioniert. Natürlich denke ich nicht, dass das alles neu für dich ist. Allerdings wird es kaum noch mehr als zwei Generationen dauern und die Mehrheit wird tatsächlich nicht mehr so wirklich wissen, wie genau Briefpost eigentlich funktionierte, oder sogar was das denn überhaupt gewesen ist.
Zeit zu reden
Da Tobias nicht weit weg wohnt, könnte ich mir den ganzen Unfug mit dem Brief natürlich so oder so sparen. Ihm einen Brief zu schicken wäre beinahe so viel Aufwand, wie zu ihm zu gehen und an seiner Tür zu klingeln. Dann könnte ich ihm den Brief persönlich übergeben und das Porto sparen, oder ich spreche einfach direkt mit ihm.
Eine Gesellschaft, die auf dieser Form von Kommunikation basiert, nennt man daher auch eine Face-to-Face–Society. Menschen kommunizieren dabei die meiste Zeit direkt miteinander, oder über Mittelsmänner. Stellvertreter sind in so einer Gesellschaft wichtiger als heute. Sie sind mehr als eine Urlaubsvertretung und sie haben oft weitreichende Kompetenzen.
Nachrichten bewegen sich mit Menschentempo
In der Vormoderne, vor dem Internet, dem Telefon und dem Telegrafenamt, bewegten sich Nachrichten maximal mit der gleichen Geschwindigkeit wie Menschen selbst. Kein Brief war jemals schneller, als der Bote, der ihn transportierte und zustellte, kein Laufbursche meldete Dinge schneller, als seine Füße ihn tragen konnten.
Die Meldung von einem Raubüberfall im Wald setzte voraus, dass jemand die Opfer des Überfalls findet und jemand anderem davon berichtet. Ehe zum Beispiel der Graf erfährt, dass der Besuch, den er erwartet, im Wald überfallen und ausgeraubt wurde, konnte einige Zeit vergehen. Das war übrigens auch militärisch ein Problem. Der Überfall auf Auriol wäre fast gescheitert, wenn nicht ein Bote, welche den Kaiser in seinem Heerlager informieren sollte, nicht dem mittlerweile woanders hingereisten Herrscher hinterherreiten hätte müssen.
Wir sprechen heute von einem globalen Datennetz und vom Internet, aber auch früher funktionierte Kommunikation wie in einem Netzwerk. Lediglich die Knotenpunkte waren weiter voneinander entfernt, die Löcher waren größer und die Informationen bewegten sich langsamer im Netz.
Immer einen Schritt voraus
Wer früher in Bewegung blieb, konnte der Kunde seiner Schandtaten entkommen. Oft lange genug, um neue zu begehen und deren Kunde abermals zu entwischen. Voraussetzung dafür war lediglich, dass man sich möglichst linear von einem Tatort entfernte und idealerweise nicht zu Fuß unterwegs war. Sobald man auch nur ein Pferd besaß oder gar Kutschen und Schiffe nutzen konnte, blieb man mit geringem Aufwand den Häschern immer einen Schritt voraus.
Die wiederum konnten einem nur folgen, wenn sie ideale Umstände hatten. Es konnte sehr leicht passieren, dass der Fluss von Informationen einfach irgendwo abbrach. Wenn ein Bote von A nach B kam, dann ging er danach schließlich nicht weiter nach C. Er kehrte nach A zurück, den Ort seines Ursprungs. Die Weitergabe der Informationen war jemand anderes Problem. Von B aus musste nun also ein Bote weiter nach C und wenn B nur über einen einzigen Boten verfügte, es aber nicht C gab, sondern C1, C2, C3 und C4…
Vormoderne Kampagnen ticken anders
Für vormoderne Kampagnen bedeutet dies, dass Nachrichten über Ereignisse in einem sehr erratischen Rhythmus eintreffen können. Es kann lange dauern, ehe Informationen irgendwo zufällig ankommen.
Als mir ein Spielleiter vor vielen Jahren einmal erzählte, wie mein Charakter verhaftet wird, aufgrund eines Ereignisses, dass weit weg stattgefunden hatte, musste ich laut lachen. Das war nicht nett von mir, aber die Situation war nun einmal vollkommen lächerlich, weil mein Charakter selbst unmittelbar nach dem Ereignis aufgebrochen war und mit schnellen Reisemitteln selbst gerade erst am Ort der Verhaftung ankam. Die Vorstellung, dass dort nun Büttel auf ihn warten könnten, war absurd.
Natürlich ging es dem Spielleiter damals nicht um die Darstellung einer glaubhaften Spielwelt. Das ist lange her und im Kern ging es ihm darum, mir ein paar Rechts und ein paar Links mit seinem Machtpimmel zu verpassen. Das hat er damals sogar recht direkt so gesagt. Meine Handlungen müssten ja schließlich auch Konsequenzen haben. Sicher müssten sie das, nur war das eben die völlig falsche Art und Weise.
Im Volksmund spricht man nicht umsonst davon, wie jemand von den Folgen seiner Taten eingeholt wird. Irgendwann. Im Western-Genre kann so was auch mal schnell ein paar Jahre dauern und Western ist der letzte Rest jener Vormoderne, an die wir uns direkt nicht mehr erinnern können.
Immer schön langsam!
Manchmal geht es im Rollenspiel aber gar nicht so sehr darum, wer was wann weiß. Und selbst wenn das schlussendlich der Fall sein sollte, so ist es oft auch interessant, wenn man als Spielleiter etwas Zeit schinden kann. Gelegentlich braucht es eben einen guten Vorwand, um die Charaktere irgendwo festzuhalten, damit sie lange genug an einem Ort bleiben, um dort ein Abenteuer erleben zu können. Der vormoderne Fluss von Informationen kann dazu Mittel zum Zweck sein!
Warten mal anders
Typische Fantasyhelden, die gerade einen Bösewicht verhaftet haben und ihn dem Gericht überstellen möchten, können schließlich nicht einfach so weiterziehen. Da muss jetzt ja ein Prozess anberaumt werden, in dem sie dann auch aussagen müssen. Dazu muss zunächst einmal der Richter verständigt werden, denn der gefangene Schwarzmagier (es sind immer Schwarzmagier, oder?) unterliegt natürlich der Gerichtsbarkeit der Krone. Also muss der Graf informiert werden. Natürlich per Post. Auch die Gilde des gefangenen Magus wird in Kenntnis gesetzt und selbstverständlich müssen alle Beteiligten ausreichend Zeit bekommen, um auch zu erscheinen. Ohne den Grafen oder einen seiner Stellvertreter geht ohnehin nichts. Die Gruppe sitzt also erst mal fest und wartet auf den Prozess. In der Zeit kann man direkt ein weiteres Abenteuer in der Stadt erleben, oder aber es gibt Komplikationen mit dem Prozess, noch bevor er tatsächlich stattfindet. Je nachdem, wie archaisch die Gesellschaft ist, werden auch noch reihenweise Zeugen aufgeboten!
Langsamkeit hat auch Vorteile
Der Vorteil solcher Mechanismen ist, dass sie einem Zeit verschaffen. Atemluft. Man sagt nicht umsonst „Gut Ding will Weile haben“ und das gilt auch für Geschichten. Damit der Gefangene einen Ausbruchsversuch unternehmen, einen wichtigen Zeugen ermorden lassen, oder einen besonders verschlagenen Anwalt engagieren kann, braucht er Zeit. In unserem modernen Mindset gehen viele Dinge sehr schnell, besonders im Bereich der Kommunikation. Früher war das alles aber eben langsamer.
Und nicht nur das! Es war auch persönlicher. Zeugen mussten weite Wege auf sich nehmen, wenn sie in einem wichtigen Prozess aussagen wollten (oder mussten!). Wurde beispielsweise ein Pirat in der Karibik gefasst und zum Prozess nach London geschafft, dann mussten seine einstigen Raub-Opfer sich schon auf die Socken machen, sofern sie konnten, um gegen ihn auszusagen. Direkt also ein weiterer Plot-Aufhänger!
„Ihr erinnert euch doch sicher noch, wie ihr vor zwei Jahren diesen Schwarzmagier den Bütteln übergeben habt? Tja, der rottete seitdem im Kerker vor sich hin. Jetzt soll der Prozess stattfinden und ihr wurdet als Zeugen geladen! Ihr habt einen Monat Zeit beim Gericht zu erscheinen.“
Zusammenfassung
Informationen wandern unberechenbarer, langsamer und lückenhafter in vormodernen Gesellschaften. Die verschlungenen Wege, über die sie sich verbreiten, erzählen eigene Geschichten und machen bestimmte andere überhaupt erst möglich. Zu verstehen, warum das so ist, erleichtert es in andere Spielwelten einzutauchen, die eben nicht wie unsere moderne Welt funktionieren.
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