Gefangenschaft im Mittelalter. Das heißt doch Fußeisen, lange Ketten, elender Gestank, lachende Wachen mit hässlichen Visagen, schimmliges Brot und … Ja, nun unter anderem aber auch das Entlassen der Gefangenen während wichtiger Festlichkeiten und Feiertage. Besuche waren ebenfalls üblich, und einige Leute konnten sogar ihren Geschäften weiter nachgehen! Jedenfalls in einigen Städten.
Film und Fernsehen haben leider keine gute Arbeit gemacht, mittelalterliche Gefängnisse zu erklären und zu zeigen. Vieles von dem, was es dazu an verfügbaren Vorstellungen gibt, welche wir als Anschauungsmaterial heranziehen können, ist ziemlicher Mumpitz oder überzeichnet, um alte Klischees des „Dunklen Zeitalters“ zu bedienen.
Klar, vieles von dem, was man sich so vorstellt, existierte, und das Leben in mittelalterlichen Kerkern war alles andere als schön. Das Essen war selbstredend nicht gut, Hals- und Fußeisen existierten, nur schon, weil die Bewachung aufwendig zu organisieren war. Viele Kerkerhäftlinge vegetierten auch, wie man das kennt, in dunklen, feuchten Löchern.
Schlecht erforscht und spontan organisiert: die Haft
Doch ist es schwierig zu verallgemeinern und variierte auch stark von Ort zu Ort und Land zu Land – ein Zeitzeuge hat beispielsweise die deutschen Kerker als besonders grausig beschrieben, als er im Italien des Spätmittelalters die modernen neuen Gefängnisse sah, bei denen er unter anderem die Fenster mit Gittern lobte. Durch diese konnten die Gefangenen schließlich mit Leuten auf der Straße sprechen oder Almosen erbitten!
Die Haft wurde an den meisten Orten kurzfristig organisiert in wie auch immer gearteten und hoffentlich geeigneten Räumen und Gebäuden. Einen organisierten Strafvollzug mit fest angestellten professionellen Wärtern gab es nicht. Auch waren Aufsicht und Lebensmittelversorgung bestenfalls laienhaft.
Ab dem Beginn des 14. Jh. änderten sich die Strafpraxis und der Umgang mit Übeltätern und sozialen Abweichlern langsam von einer Doktrin der Auslöschung zu einer der Einhegung. Damit ging auch eine langsame Professionalisierung der Kerkerhaft einher. Es dauerte allerdings noch bis ins späte 18. Jh., bis die Gefängnishaft zunehmend die Bedeutung für das europäische Strafwesen erhielt, die sie heute hat.
Ad-Hoc-Einsperrung
Die Entstehung von Gefängnissen ging einher mit einem Wandel der Mentalität im Umgang mit Abweichlern und Verbrechern. Gefängnisstrafen sind heutzutage neben Strafgeldern die Norm innerhalb unserer europäischen Gesellschaften, doch das war nicht immer so.
Im Mittelalter lag der Fokus bei Störenfrieden für Ordnung und Frieden auf der Auslöschung. Das konnte zum einen die Todesstrafe bedeuten (selten) oder die Verbannung (häufiger). Für Leute, die innerhalb der Gesellschaft verbleiben sollten, gab es zudem noch Strafen, die sofort vollzogen werden konnten. So zum Beispiel Schandstrafen wie den Pranger und Körperstrafen wie Verkrüppelung oder Verstümmelung.
Leute einzusperren, hatte vor dem Spätmittelalter eigentlich nur einen von zwei Gründen. Zum einen, sie zu verwahren, bis Ermittlungen in ihrem Fall durchgeführt wurden und eine abschließende Strafe festgelegt werden konnte. Zum anderen, sie zur Zahlung von Schulden zu zwingen oder ihnen durch Folter Geständnisse abzuringen. Im Frühmittelalter begnügte man sich oft noch damit, dass wer nicht zu seinem Gerichtstermin erschien, einfach direkt als schuldig zu betrachten oder Strafgelder zu verhängen. Zeugen aufzubieten erübrigte sich dann.
Mörder, Vergewaltiger, Häretiker, Diebe, Räuber, Prostituierte, Sodomiten, Münzfälscher, Schuldner – sie alle fanden sich im Gewahrsam der Obrigkeit wieder. Nur hatte die Obrigkeit eigentlich selten Lust, Leute langfristig aufzubewahren. Verbannung, Pranger oder Prügelstrafe waren schlichtweg einfacher. In kleineren Gemeinwesen gab es zudem nicht die Möglichkeit, Leute einzusperren und zu verwahren. Das war das Privileg von Städten und Burgen.
In den Turm mit ihm!
Nur, wo sperrte man jemanden ein, wenn es noch keine Haftanstalten gab? Eine Möglichkeit, auf die immer wieder zurückgegriffen wurde, war die Stadtbefestigung. Die Türme an den Mauern waren stabil, abseits gelegen, wurden durch die Stadtmiliz sowieso bewacht und boten Platz, der anderweitig nicht gebraucht wurde. Das war in vielen Städten noch lange über das Mittelalter hinaus die Norm, denn moderne Gefängnisse wie in einigen italienischen Städten setzten sich noch lange nicht durch.
Alternativ wurden einzelne Zellen in kleineren Amtsstuben eingerichtet, die eigentlich anderen Zwecken dienten, oder Gebäude für den Zweck des Einsperrens gemietet. Dabei lebten dann teilweise einzelne Gefangene mit ihrem Wärter zusammen und aßen mit ihm am selben Tisch, bis er sie wieder in ihre Kammer schaffte. Natürlich musste der Gefangene dafür bezahlen, das ist klar!
In den … Konvent mit ihr?
Frauen gerieten deutlich seltener in Gefangenschaft. Entsprechend schlecht waren auch die Möglichkeiten, sie unterzubringen. Es war kaum daran zu denken, Frauen in die Obhut von irgendwelchen Wachsoldaten zu geben. Oftmals griff man darum auf Klöster zurück. Das galt übrigens manchmal auch für Männer, aber bei Frauen war dieses „Outsourcing“ für die Obrigkeiten besonders attraktiv.
Klöster waren nicht nur befestigt, sie boten auch eine stabile Ordnungsstruktur und waren bereits darauf ausgelegt, viele Leute zu versorgen. Viele straffällige Frauen wurden darum in Klöstern untergebracht.
Offener Vollzug
Vielen Konventen wurde das allerdings irgendwann zu bunt, denn logischerweise waren viele der eingesperrten Frauen Prostituierte. Diese zogen ihre Kunden an, die ihnen bis zum Konvent folgten. Denn anders als heute waren Gefängnisse eine recht durchlässige Sache. Man muss sich das eher vorstellen wie offenen Vollzug statt wie ein heutiges Hochsicherheitsgefängnis. Auch die regelmäßigen Besuche und die Korruption ermöglichten hier Kontakte zwischen Gefangenen und Außenstehenden.
Gerade wenn das Einsperren gar nicht die Strafe war, dann konnte man die Leute ja nicht in einer Zelle verrotten lassen. Gefangene, die Schulden bezahlen sollten, die mussten einigen ihrer Geschäfte nachgehen können oder den Verkauf von Besitztümern abwickeln, zum Gericht gehen usw.
Bewachung und Organisation
Waren Türme auch deswegen so beliebt, weil sie die Bewachung erleichterten, dann deutet das auf ein reales Problem hin: Es gab keine permanenten Strukturen für das Verwahren von Gefangenen. Es gab zwar Normen und Traditionen, die gemeinhin bekannt, aber eben nirgendwo formal festgeschrieben waren, doch fehlte es an den staatlichen Strukturen.
Wachleute wurden angeheuert, wenn sie gebraucht wurden. Oft mussten die Gefangenen die Wachen selbst finanzieren, und es gab immer wieder Scherereien mit dem Gehalt, das teilweise monatelang ausblieb. Kaum jemand arbeitete auf einer permanenten Basis als Festangestellter für die Stadt. Im Falle der Türme konnten zumindest die Milizsoldaten diese Lücke größtenteils schließen.
Auch Lebensmittel und Ähnliches waren nicht das Problem der Stadt. Nur weil du im Turm sitzt, heißt das noch lange nicht, dass die Stadt dich nun durchfüttert! Manchmal gab es eine Küche, welche die Gefangenen nutzen konnten. Ansonsten galt, dass ein Gefangener entweder etwas für seine Verpflegung bezahlte oder seine Verwandten ihn versorgten. Regelmäßige Besuche waren hier durchaus üblich und auch nötig, damit es dem Verwandten nicht schlecht erging. Arme Gefangene erhielten manchmal eine Zuwendung der Stadt oder konnten betteln gehen – mit offizieller Erlaubnis. Manchmal mussten sie aber auch hoffen, dass Mönche oder andere Kleriker sich ihrer annahmen und sie mit Lebensmittelspenden versorgten. Man muss sich dabei bewusst machen, dass Ernährung noch bis vor wenige Dekaden eine komplizierte Angelegenheit war und oft zu Streit führen konnte.
Korruption
Dieser Mangel an Organisation führte selbstredend auch zu Korruption. Die Wachleute waren notorisch unzuverlässig, denn sie waren ja nicht dem Gericht verpflichtet. Zudem kam hinzu, dass der Gefangene eventuell jemand war, den man kannte, schließlich stammte er meistens aus demselben Gemeinwesen.
Wurde ein Gefängnis privat betrieben – was durchaus oft vorkam –, dann wog der Mangel an Aufsicht zusätzlich besonders schwer. Die Aufgabe der Gerichte war es, zu ermitteln, nicht die Versorgung der Gefangenen zu gewährleisten oder die Aufseher zu kontrollieren. Wer also keine Fürsprecher hatte oder über keine Familie verfügte, die ihn versorgte oder für ihn das Wort ergriff, der war oftmals auf sich allein gestellt. Ein Problem, das gerade Arme traf.
Entsprechend ist Verbannung gar nicht so unmenschlich, wie es anfänglich scheinen mag, denn ein Verbannter kann immerhin weiter arbeiten und sich versorgen – wenn auch anderswo. Hier half zum Glück die Korruption ebenso weiter. Mehr als ein Verbannter oder eine Verbannte gingen zum einen Tor hinaus und zum anderen bald darauf wieder hinein.
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„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Sie soll Autoren, Spielern und Spielleitern als Anregung dienen und Inspiration fürs Rollenspiel oder Geschichten bieten. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quellen:
- Blauert, Andreas, und Schwerhoff, Gerd, Hrsg. Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main, 1993.
- Geltner, Guy. The Medieval Prison. A Social History. Princeton, 2008.
- Irsigler, Franz, und Lassotta, Arnold. Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterlichen Stadt. 12. Auflag. München, 1989.
- Tlusty, B. Ann. The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms. New York, 2011.
- Titelbild: De Enric – Trabajo propio, CC BY-SA 3.0.