Das Milizwesen der deutschen Städte im späten Mittelalter und in der Renaissance beinhaltete auch die Pflicht, zur Nachtwache zu erscheinen (Mehr zum Polizeiwesen). Jeder Haushalt musste ca. alle drei Wochen zum nächtlichen Dienst antreten. Meistens schickte der Hausherr ein jüngeres Mitglied des Haushalts, z. B. seinen Sohn oder einen Lehrling. In Krisenzeiten konnte allerdings auch gefordert werden, dass der Hausherr persönlich erschien, um seine Lebenserfahrung und durch das Leben erworbene Disziplin ins Spiel zu bringen.
Anders als im Klischee waren die Nachtwachen allerdings nicht allein unterwegs, und es gehörte auch nicht zu ihren Aufgaben, der Welt zu verkünden, dass alles in Ordnung war – jedenfalls nicht explizit. Nachdem der Befehl vom lokalen Hauptmann (ein Bürger, meist für eine Nachbarschaft oder eine Straße zuständig) gekommen war, hieß es zur Abendglocke anzutreten (19–20 Uhr im Winter, 21 Uhr im Sommer).
Der Nachtwächter erschien (so die Anweisung) nüchtern und bewaffnet mit der üblichen Ausrüstung, bestehend aus Brustpanzer, Helm, Schwert und einer Stangenwaffe (oft die Hellebarde) oder einer funktionstüchtigen Feuerwaffe. Dem Wächter wurde dann eine der Aufgaben zugeteilt: Wache bei Türmen oder Toren oder Patrouille auf den Mauern oder in der Stadt selbst.
Die Patrouillen in der Stadt bestanden aus kleinen Gruppen (die Scharwacht), die sich aufteilen konnte in Zweiergruppen, wenn dies nötig war. Damit der Enthusiasmus der Jugend nicht mit ihnen durchging, versuchte man nach Möglichkeit ältere und jüngere Männer sowie (wenn vorhanden) professionelle Soldaten miteinander zu mischen.
Auf Patrouille
Was war nun aber nachts überhaupt los auf den Straßen? Erst einmal war es dunkel, denn öffentliche Straßenbeleuchtung ist eine Selbstverständlichkeit der Moderne, nicht so der mittelalterlichen Städte. Es war selbstredend nicht verboten, nachts auf den Straßen unterwegs zu sein, aber es gab Regularien, um Unruhe zu verhindern. Die Trinkhäuser waren angewiesen, mit der Abendglocke den Ausschank einzustellen (noch bis vor einigen Jahren durchaus üblich: „Sperrstunde/Polizeistunde“), ebenso gab es Regeln gegen das Singen, Kämpfen oder Herumschreien und spontane Festlichkeiten auf den Straßen. Deshalb waren gerade in den ersten Stunden der Nacht noch viele Heimkehrer aller Art unterwegs. Immerhin waren die Tore nachts geschlossen, um den Zugang zur Stadt zu kontrollieren.
Am häufigsten trafen die Wachen auf junge Leute aus Stadt und Land, welche den Schutz der Dunkelheit nutzten, um ihre Grenzen zu testen. Allerlei Mutproben und Gehabe waren üblich. Immer wieder drückten die Wachen ein Auge zu, denn es war für junge Männer ja nötig, sich gegenüber ihren Altersgenossen beweisen zu können, auch um irgendwann „richtige Männer und Teil der Gesellschaft“ zu werden, wofür sie sich ja ausprobieren mussten – auch gerade mit einem Verhalten, das heutzutage wohl als „Machogehabe“ angekreidet werden würde.
Wer allerdings nichts zu verbergen hatte, der trug eine Lampe bei sich, wie die Vorschriften das vorsahen. Wer sich selbst beleuchtete, hatte ja auch nichts zu verbergen. Trotzdem sprachen die Wachen viele Leute an, die sie passierten, um herauszufinden, wer dort ging. Bei reicheren Herrschaften, welche in Kutschen unterwegs waren, sparte man sich das aber meist.
Unruhestifter, also Säufer, Schläger, Leute, die bei Sachbeschädigung erwischt wurden oder sich mit lauten Späßen wie nächtlichen Schlittenfahrten oder Schneeballschlachten die Zeit vertrieben, mussten mit einer Geldstrafe rechnen. Die Strafe zog die Wache ein, oder derjenige wurde angewiesen, am Folgetag bei einem Gericht zu erscheinen. Wer sich nicht unter Kontrolle bringen ließ oder sturzbetrunken war, den schaffte man in einen Käfig auf einem öffentlichen Platz, um ihn der Schande preiszugeben. Selbstredend gab es, wenn Leute bestraft werden sollten, regelmäßige Dispute, die nicht selten neben lautstarkem Gehabe auch in Kämpfen ausarteten, manchmal sogar mit Waffen.
Frauen, die nachts allein oder zu zweit ohne Eskorte unterwegs waren und nicht gerade Hebammen oder Heilerinnen auf dem Weg zu einem Notfall waren, mussten damit rechnen, dass die Wachen sie als Prostituierte über Nacht wegschlossen.
Der Wachdienst konnte auch ziemlich langweilig, regelmäßig auch eine lästige Pflicht und im Winter obendrein kalt sein. Das führte zu – im Auge der Obrigkeit – Liederlichkeiten aller Art. Wachmännern fehlte es oft an gutem Schuhwerk oder warmen Mänteln, sodass sie (zu)viel Zeit in den Türmen oder Privathäusern verbrachten, um sich aufzuwärmen.
Gegen die Langeweile wiederum behalf man sich damit, Alkohol auf die Wache mitzubringen, Glücksspiele zu spielen, sich zu raufen oder sogar zu schlagen oder auch ein Wirtshaus aufzusuchen. Immer wieder brachten Wachleute auch Gäste mit in die Türme und verbrachten dort eine angenehme Zeit. In Nördlingen wurde den Mitgliedern des Stadtrates ausnahmsweise erlaubt, ihre Frauen mit in den Dienst zu bringen, welchen sie im großen Glockenturm „Daniel“ verbrachten, von wo aus man eine gute Aussicht hatte.
Trotz allem galt der Milizdienst in der Wache auch als Privileg und Ausdruck von Freiheit, denn so war jeder reihum für Besitz, Ehre und Gesundheit seiner Nachbarn verantwortlich. Man fühlte sich nicht abhängig von Fremden; wehrhaft und bereit, die eigene Gemeinschaft zu verteidigen.
„Geschichtskrümel“ ist eine wöchentlich erscheinende Serie aus Kurzartikeln. Die Geschichtskrümel drehen sich um historische Ereignisse oder Themen, über die ich in meinem Alltag stolpere. Sie sind manchmal lehrreich, manchmal skurril und manchmal einfach nur lustig.
Quelle: B. Ann Tlusty, The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms (New York: Palgrave Macmillan, 2011). S. 36–40.